Pflasterlyrik 2016 in Gelsenkirchen

Texte sind nüchtern ...

gegenüber der Atmosphäre des Neumarkts während der echten Pflasterlyrik-Aktion. 

Manche der Gedichte waren auch vorher schon publik; andere wurden extra für die Veranstaltung ersonnen; aber allen Autorinnen und Autoren war während der Aktion anzumerken, dass ihnen diese spezielle Aktion viel Freude bereitete.

 

 

Hier präsentieren wir die echten Texte der Pflasterlyrik Gelsenkirchen 2016, neben der grafischen Gestaltung, die die jeweiligen AutorInnen gewählt haben.

(in alphabetischer Reihenfolge der AutorInnen)

Wunder

Glaube an Wunder
Liebe und Glück.

 

Schaue nach vorne
und nicht zurück

Tu was du willst
und steh dazu.

Denn Dein Leben
lebst nur Du.

 

Jenny Canales, aus: “Schatten der Nacht

Liebesbrief an Gelsenkirchen

Wir waren mal die Stadt der 1000 Feuer,

wohnen war bei uns noch niemals teuer.

wir sind doch viel mehr als Schalke,

auch wenn ich immer fest zu ihnen halte.

Wir sind auch ganz tiiief im Weeesten,

wir hier in GE sind halt doch die Besten.

Wir sind rot und wir sind grau,

wenn bei uns im Kleingarten die Rosen blühen.

Wir sind Multikulti und wir machen in Solar,

wir sind zwar arbeitslos, is schon klar.

Dafür schützen wir Landschaft und Natur,

und Ernst Kuzorra ist unsere Reinkultur.

Am 1. Mai, da gibt’s bei uns Protest,

wir stehen zusammen, wir stehen fest.

Kollegen zischen hier ein Bierchen,

Du bist und bleibst mein Gelsenkirchen.

Wir sind doch viel mehr als Schalke,

ein Ort an dem ich fest halte.

Weil ich dich nicht vergessen kann,

nicht jetzt, nicht irgendwann.

 

Angelika Christiani

Altersarmut

Große Sprünge haben wir nie gemacht

dafür an ein sorgenfreies Alter gedacht.
Doch der harten Arbeit Lohn
war dann eher der blanke Hohn.
Als man uns zu Rentnern machte
war alles anders als man dachte.
Es war nicht unser Bestreben
im Alter aus Mülleimern zu leben.

 

Josef Ciesielski

Ich habe mich

gefreut über Gott,

dass er mir die Kraft
gegeben hat
Miteinander gesund bleiben

 

Katjuscha Fargnoli

Nahverkehr

Rotes Haar verschmilzt

mit dem Rot der S-Bahntür

unwirklich, unecht.

Zwei müde Mäntel

ineinander verflochten,

ein Knopf hängt schief.

Sie krault seine Arm

mit schlanken weißen Fingern,

Nägel schwarz lackiert.

Gleiten über Schwarz

mechanisch rauf, runter

fast wie ein Uhrwerk.

Man ahnt das Reiben

auf dunklem, derbem Stoff.

Gleise schlucken Töne.

Der Daumen seiner Hand

berührt kaum wahrnehmbar

ihren Nacken.

Ich spüre, wie

winzige Härchen ihrer Haut

sich aufrichten.

Ein silbriger Ohrring

schaukelt im Rhythmus der Bahn-

Gesicht an Gesicht.

Im überfüllten Zug

ein Stehplatz der Zweisamkeit

auf zugigem Gang.

 

Gabriele Franke, aus: „Blaues Lachen bleibt

ROSEN IN GELSENKIRCHEN

WEIßT DU,

DASS diese STAUBIGE STADT

IN IHREM HERZEN

KASKADEN von DUFTENDEN ROSEN HAT?

DU KANNST SIE FINDEN

ZWISCHEN ASPHALT UND GLEISEN.

SIE RANKEN HOCH

AN MASTEN, LATERNEN UND EISEN:

SIE BLÜHEN IM MÜLL;

AUCH AN SCHMUTZIGEN ECKEN:

DU KANNST SIE ÜBERALL entdecken.

MIT IHREN FARBEN

übertönen sie das STÄDTISCHE GRAU

SIE WINKEN DIR ZU, STEHST DU wieder im STAU.

 

Gisela Fremerey

Auch gut

betuchten Mitmenschen

fällt es oft schwer

ihre fröstelnde Seele

warmzuhalten

 

Elke Holland

Auch gut, von Elke Holland
Miteinander von Brigitte Köster

Miteinander

(Herzlich) Willkommen

Miteinander

ist besser als Alleinsein

Sorgen + Probleme werden durch

Gemeinsamkeit – Nichtig + Klein

Miteinander heisst aber auch

Rücksicht lernen – Nur so kann Angst im

Hier + Jetzt – bewältigt werden.

Etwas mehr

Miteinander – kein Gegeneinander

bringt ZUEINANDER

weicht dem AUSEINANDER

Miteinander zum

NEUSTART bereit …

Umdenken und Handeln bringt uns

ALLEN eine friedvolle ZEIT

 

Brigitte Köster

Die kleinen Dinge

  des Lebens
werden zwar nicht
  Größer –
  ABER immer
  WICHTIGER


Ute Majewski 

Die kleinen Dinge

Zeit

Es schleift auf dem Boden,

wie ein Pfeil mitten ins Herz,

und immer mehr schmerzt die Berührung,

doch zuletzt fällt das Ziel auseinander.

Das Wasser spült die Löcher kahl,

das Gesicht zerfällt,

und es gerinnt die Zeit

Weil die Uhr zu langsam geht.

Die Zeit schleift an der Maske,

die Jahreszeiten drehen sich im Kreis,

und das Blut wandert beständig,

nur der Gedanke bleibt stehen

 

Hajnalka Peterfy

Wir sitzen alle in einem Boot.

Jeder hat ein Paddel in der Hand

und ist verantwortlich für alle,

die im Boot sitzen.

Unser Boot ist die Erde!


Ulrike Pietrzak

Wir spielen dasselbe Spiel –

wir spielen gegeneinander

Wir spielen dasselbe Spiel –

wir spielen miteinander

Was ist der Unterschied?

Wenn wir miteinander spielen

gibt es keine Gewinner

oder Verlierer!


Volker Pietrzak

Migration

Mein Herz will nach Paris

Die Leber zieht nach Köln

Die Lunge geht gen Bielefeld

Nur ein paar Brösel

Hirn bleiben auf der

Kurt Schuster in

Gelsenkirchen


Ingo Schendel

Aber Ihr wusstet doch …

Der Weg geebnet für Ihren

Krieg, unsere Zwietracht ist

Die Wahrheit unser höchstes Gut,

als erstes fällt.

Durch Ihre List und unseren

geraubten Mut!

Der Brandherde so viel,

die Ohnmacht steigt,

Gleichgültigkeit sich dem

ENDE neigt.

Mama, warum denn nur

habt ihr nichts getan?

Aber ihr wusstet doch …

 

Bernd Schreiner

Schlafloses Gift

Nachts im Krankenhaus –

Krebsstation

Die Chemie rinnt durch die Schläuche.

Zombies beten um Errettung

… hoffen.

Die Chemie rinnt durch die Schläuche.

Neue Zombies treffen ein und

beten um Errettung

… hoffen.

Die Alten werden verscharrt.

Nachts im Krankenhaus –

Krebsstation

Die Chemie rinnt durch die Schläuche.

 

Brigitte Schweingruber

Pling

Alles ist farbig

so hüpft das Gelb aufs Weiß

Hier  leuchtet es schön warm und hell

TATÜ TATA TATÜ TATA TATÜ TATA

Mit lautem Getöse kommt’s ROT blitzschnell

Macht sich breit – doch das GELB ist schlau

verzaubert blutrünstiges in sanftmütige

Umarmung. Streicheln, spielen – ORANGE wunderbar

DRIPP DROPP DRIPP DROPP DRIPP DROPP

Etwas Kühles in der Hitze des Augenblicks

beruhigend, tiefsinnig – ganz genau das BLAU

ES bleibt nicht lang allein. ROT ist herrisch

ROT auf BLAU immer mehr STOPP

Nun wird’s königlich und geheimnisvoll

immer wieder flieder; VIOLETT – nett

natürlich mischt auch BLAU + GELB

es grünt so GRÜN – komplett

Tausendmal bunt. Haupt-

GEWINN

 

Anette Stenkamp

ß – GT

Es träumte mir in tiefer Nacht

Ein β, oder griechisch »Be«

Imposant und mit ganzer Macht

Gefolgt von großem »Ge« und »Te«.

 

Hochglänzend, leuchtendchrom liquide

Drehn sich als Logo in 3 – D!

Des Anblicks wurd ich gar nicht müde

Wunderschön erschien mir β – GT!

 

β – GT flasht durch mein Hirn,

Fasziniert und lässt mich nicht mehr los,

Schon naht Fieber, es brennt die Stirn,

β und GT, ganz riesengroß!

 

Morgens pocht mein armer Schädel

Was war das für ’ne Traumvision?

β – GT klingt wirklich edel

Ich find es raus, das schaff ich schon!

 

Bestimmt ein Handy, neustes Modell

Von Samsung, Apple, Huawei?

Bei Google check ich das mal schnell:

β – GT ist leider nicht dabei.

 

Ein Sportflitzer oder Cabrio?

Bei Ferrari, Porsche, A M G:

Ernten meine Fragen nur »I-wo!«

Grand Touring ja, aber β – GT?

 

Vielleicht geht’s um Gesundheit da

Neue Vitamine oder Nerventee?

Lauf zu Arzt, Apotheker und P T A

Doch niemand erklärt mir β – GT.

 

Gut, denk global, so sag ich mir

Trendy Kreuzfahrten auf hoher See,

Traumschiffe mit Klang stehen dafür:

Aida, Costa, leider nie: β – GT.

 

Ich geb es auf, ich komm nicht weiter

β – GT? Weh dem, der danach fragt!

Nur der Passant wird plötzlich heiter,

Wenn er erkennt: »Mann, ist der betaGT!«

 

Georg Stenkamp

Neu kommt

NEU KOMMT

DIE UNRUHE

DIE STRASSE

HERUNTER

BUNT

DIE REISE

FREI

 

Irmgard Stenkamp

UMGANGSFORMEN …

EINER MIT

DEM ANDEREN

UND NICHT

UNTEREINANDER

GEGENSEITIG

SONDERN

GEMEINSCHAFTLICH

UND GESCHLOSSEN

GANZ EINFACH

IM PRINZIP

 

Wolfgang Sternkopf

Umgangsformen

Schalke Manie

Als Köttel war die Glückauf Kampfbahn seine Mission

und in den Straßen von Schalke sang er seine Lieder.

Als Vater zog er mit den Kindern los,

den Kleinsten trug er auf seiner Schulter.

Von nun an sangen die Kinder

wieder und wieder im Parkstadion seine Lieder.

Man packt sich an den Haaren, so geht das schon seit Jahren.

Mittlerweile sind die Enkel soweit und nehmen sich

für die Veltins Arena Zeit.

Endlich hat sich der Kreis geschlossen und

und drei Generationen

sind in Schalke verschossen.


Ursula Walter

Pflasterlyrik schreiben

Der Neumarkt als Veranstaltungsort der weltweit ersten Pflasterlyrik erstaunte zuerst die Autorinnen und Autoren, die allesamt zum ersten Mal eins ihrer Gedichte auf ein öffentliches Pflaster schrieben. Nachher erstaunte es aber auch die vorbeikommenden Passanten.

 

Das Lyrik-Lab Ruhrgebiet freut sich schon auf Fortsetzungen …

Melden Sie sich, meldet euch, norbert@pflasterlyrik.de